Produktivität steigern mit System – Ganzheitliches OEE-Management

Ein Beitrag von Dr. Oliver Kessing (MatrixPartner)

Die Automobilindustrie war, wie so oft, auch hier der Vorreiter – aber auch in anderen Bereichen der Produktion haben sich in den vergangenen Jahren die Rahmenbedingungen geändert. Die Produktions- und Montagebereiche müssen damit zurechtkornmen, dass eine immer größer werdende Anzahl von Modellvarianten zu bewältigen ist. Unter diesen Bedingungen verringern sich die Losgrößen je Variante dramatisch, aber auch (Klein-)Serien müssen bei variierenden Stückzahlanforderungen ebenso wirtschaftlich produziert werden wie Exoten. Neu entwickelte Anlagen produzieren zudem mit immer kürzeren Taktzeiten. Hinzu kommen noch verkürzte Produktzyklen, die dazu führen, dass sich die Anzahl der Produktanläufe erhöht. Und jeder Neustart einer Produktionslinie bedeutet ein zusätzliches Risiko. Als Reaktion auf diese neuen, hohen Anforderungen wurden die Produktions- und Fertigungsprozesse stark automatisiert und immer flexibler gestaltet. Fertigungslinien und verkettete Anlagen ersetzen zunehmend die klassische Werkstattfertigung. Pufferbestände zwischen den Anlagen werden jetzt auf ein Mindestmaß reduziert mit dem Ziel, die Kundenanforderungen optimal zu erfüllen. Diese aus der “Lean-Philosophie” abgeleiteten Ansätz führen in der Praxis allerdings häufig zu:

  • einer steigenden Anzahl ungeplanter Anlagenstillstände
  • erhöhter Anzahl von Produktwechseln und Rüstvorgängen
  • Störungen im Fertigungsablauf
  • Problemen bei der Materialversorgung
  • Qualitätsmängeln
  • Nacharbeit und “Trouble Shooting”

Die wichtigste Voraussetzung zur Lösung all dieser unterschiedlichen Probleme besteht darin, Transparenz zu schaffen und die Probleme systematisch zu erfassen, darzustellen und zu analysieren.Als Grundlage für die Gestaltung eines erfolgreichen Produktivitätsmanagements hat sich die Nutzung des OEE (Overall Equipment Effectiveness) als standardisierte Kennzahl zur Messung Effektivität einer Anlage bewährt.

Die OEE-Kennzahl spiegelt Einflüsse verschiedener Bereiche

Die OEE-Kennzahl schafft bei konsequenter Anwendung Transparenz in Bezug auf die auftretenden Verlustquellen eines Produktionssystems. Das bedeutet, dass Produktion, Instandhaltung und die übrigen in die Produktionsprozesse eingebundenen Unternehmensfunktionen auf der Grundlage der OEE-Kennzahl gemeinsam einen Verbesserungsprozess etablieren können. Dieser Prozess ist bereichsübergreifend ausgerichtet und fordert und fördert die Zusammenarbeit der relevanten betrieblichen Funktionen. Die Bedeutung des OEE-Wertes veranschaulicht folgende Überlegung: Die möglichen Verluste, welche die Effektivität einer Anlage verringern, lassen sich verschiedenen Kategorien zuordnen. Die Zeitverluste fassen jene Stillstandszeiten einer Anlage zusammen, die beispielsweise durch technische Störungen, Reparaturen, Wartungen, Rüsten oder organisatorische Probleme entstehen. Leistungsverluste treten auf, wenn die Anlage zwar produziert, aber nicht optimal, beispielsweise infolge von Kurzstillständen oder Taktzeitreduzierungen. Wird ein Teil der insgesamt produzierten Menge wegen Qualitätsmängeln beanstandet, so handelt es sich in diesem Falle um Qualitätsverluste. Diese verschiedenen Verlustarten treten einzeln oder in Kombination auf.

 

Um Verluste zu vermeiden, ist eine ganzheitliche Strategie erforderlich

Zur Vermeidung von Verlusten ist strategisch gesehen eine ganzheitliche Betrachtung erforderlich, insbesondere weil sich die Verlustarten gegenseitig beeinflussen. So kann beispielsweise die Erhöhung der Anlagengeschwindigkeit zwar die Leistungsverluste reduzieren, führt aber unter Umständen gleichzeitig zu erhöhten Qualitätsverlusten.

 

Zur Ermittlung des OEE werden die unterschiedlichen Verlustarten in einzelnen Kennzahlen abgebildet und multiplikativ zur OEE-Kennzahl verknüpft. Der Nutzungsgrad berücksichtigt die Zeitverluste, der Leistungsgrad gibt den Anteil der optimal genutzten Produktionszeit an und der Oualitätsgrad drückt den Anteil der qualitativ einwandfreien Produktionsmenge aus. Die Multiplikation der drei Komponenten ergibt den OEE-Wert in Prozent. Dies macht deutlich, dass die Verbesserung des OEE nur erreicht werden kann, wenn sich zumindest eine Komponente erhöht und gleichzeitig die übrigen Komponenten mindestens gleich bleiben. Aus der Definition ergibt sich, dass ein OEE von 100 % in der Praxis nicht erreichbar ist. Abhängig von den betrachteten Anlagen gelten OEEs von 80-85 % als “Weltklasse” und von 70-75 % als realistische Zielgrößen.

Die konsequente Einführung der Kennzahl erlaubt:

  • Transparenz in Bezug darauf, was mit Anlagen 24 Stunden am Tag 365 Tage im Jahr passiert
  • Verlustquellen ganzheitlich zu erfassen und zu analysieren
  • Handlungsbedarfe zu identifizieren
  • konkrete Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen
  • messbare Ziele festzulegen und die Zielerreichung zu verfolgen

Da erfolgreiches OEE-Management einen ganzheitlichen Ansatz erfordert, muss erreicht werden, dass die verschiedenen Unternehmensfunktionen zielführend zusammenarbeiten mit dem gemeinsamen Ziel, Verlustquellen aufzudecken und zu eliminieren. In der Praxis vielfach bewährt hat sich die Einrichtung von “OEE-Regelkreisen”. In der Regel unter der Führung der Produktion werden Mitarbeiter aus weiteren angrenzenden Bereichen wie z.B. Instandhaltung, QS, Logistik einbezogen. Derartige OEE-Regelkreise finden regelmäßig statt und funktionieren folgendermaßen: Nach Auswertung und Analyse der Informationen werden von den Beteiligten gemeinsam Maßnahmen zur Eliminierung der Verlustquellen erarbeitet und festgelegt. Nach Umsetzung der Maßnahmen stellt die ständige Verfolgung ihrer Auswirkungen auf den OEE-Wert sicher, dass der Erfolg der Realisierung erkennbar wird.

Wesentliche Handlungsfelder sind Fertigungsorganisation, Materialfluss, Planung und Steuerung, Rüstzeiten und Rüstabläufe, Prozess- und Produktqualität, die Maschinenzuverlässigkeit und eingesetzte Technologien. Die OEE-Kennzahl liefert die notwendigen Informationen zur Effizienz der Maßnahmen in allen diesen Bereichen. Die Nutzung des OEE als Ausgangsgröße eines einheitlichen Steuerungsinstrumentariums in Form eines OEE-Regelkreises ermöglicht es, sowohl den konkreten Handlungsbedarf zu ermitteln als auch die festgelegten Ziele zu verfolgen. Die Herausforderung besteht dabei darin, die einzelnen Themenblöcke nicht isoliert anzugehen, sondern ein optimales Gesamtsystem zu schaffen, in dem die Verschwendung nachhaltig eliminiert wird.

Die praktische Erfahrung hat gezeigt, dass mit Hilfe des OEE-Managements Produktivitätssteigerungen auch in Produktionssystemen möglich sind, die sich bereits auf einem hohen Entwicklungsniveau befinden. Wesentliche Erfolgsfaktoren sind eine strukturierte, standardisierte Vorgehensweise, eine breite Akzeptanz bei Führung, Betriebsrat und Mitarbeitern sowie eine konsequente Verfolgung und Umsetzung der Verbesserungsmaßnahmen durch die verantwortlichen Führungskräfte.

Zurück