Nichts scheint mehr normal – kann man mit extremer Unsicherheit eigentlich umgehen?

Es droht ein Wirtschaftseinbruch, die Inflation ist längst da, Energie könnte knapp werden oder gar ausgehen, Rohstoffe werden knapp. Die Welt steht vor Unwägbarkeiten wie es sie seit Jahrzehnten nicht gab.

Schon in normalen Zeiten sind Unternehmen mit zahlreichen Unsicherheiten von unterschiedlicher Tragweite konfrontiert. Dabei werden mit etablierten Abläufen, Strukturen und Managementtools Unsicherheiten verringert und Maßnahmen getroffen, um Restrisiken zu beherrschen. Dies gelingt mal besser und mal weniger gut. Stakeholder haben sich daran gewöhnt, dass es überschaubare Planabweichungen gibt, die dann ordentlich erklärt werden; Gegenmaßnahmen werden dargestellt, die dann auch meist ihre Wirksamkeit entfalten – Controlling nennt man dies im Allgemeinen. Im besten Falle hat man noch ein schlechteres Alternativ-Szenario gerechnet, das zur allgemeinen Beruhigung dienen soll. Wird alles schon irgendwie gut gehen.

Im Sanierungsgeschäft ist man ein bisschen erfahrener im Umgang mit Unsicherheiten und Risiken und versucht diese mit Eintrittswahrscheinlichkeiten in der Planung zu berücksichtigen, und der sogenannte Stress-Case ist mittlerweile Standard. Auch dies gelang in der Vergangenheit meist ganz ordentlich. Doch jetzt? Die Corona-Krise war der erste Warnschuss, dass nichts mehr so ist wie man es über Jahre kannte. Das „new normal“ wurde es genannt, was suggerierte, dass man nur die Anpassungen weit genug treiben müsse, dann wäre schon wieder alles normal. Der menschenverachtende Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundenen Folgen waren nicht vorstellbar und wären selbst in einem Worst-Case-Szenario höchstwahrscheinlich nicht vorgekommen. (Was heißt eigentlich Worst-Case in diesem Zusammenhang – das will man sich erst gar nicht ausmalen.) Taugen also die bekannten Methoden in solchen Extremsituationen überhaupt noch?

Eine legitime Antwort wäre, dass die Situation so besonders und speziell ist, dass man das als Ausnahme abtun könnte. Ein anderer Ansatz ist jedoch zu fragen, werden Unsicherheiten nicht einfach weiter zunehmen, mit entsprechend größeren Auswirkungen (eine zweite Pandemie, massive Auswirkungen des Klimawandels, Engpässe bei der Energie- und Rohstoffversorgung, weitere Kriege … Risiken, die wir schlichtweg nicht auf dem Schirm haben bzw. hatten), und wie muss sich ein Unternehmen hierfür aufstellen? McKinsey nennt in diesem Zusammenhang 5 Fallstricke:

  1. Optimistische Voreingenommenheit:
    Vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrung glaubt man nicht wie schlecht es wirklich werden kann. Selbst der Stress-Case kann dann plötzlich zum Good-Case werden.
  2. Instabile Informationen:
    Aufgrund der Komplexität macht man sich nicht die Mühe, wirklich detaillierte Informationen zu beschaffen, auch weil sie in Zeiten der Unsicherheiten alles andere als stabil sind.
  3. Falsche Antworten:
    Die eigenen Annahmen dürfen nicht mit Fakten verwechselt werden, da sie stark von der eigenen vergangenen Erfahrung geprägt sind.
  4. Paralyse durch Analyse:
    Bei einer Informationsfülle verliert man leicht den Überblick, zu viel Analyse kostet jedoch Zeit, und der Erkenntnisgewinn ist z.T. beschränkt oder führt in die Irre (Dilemma zu Punkt 2).
  5. Organisatorische Erschöpfung:
    Extreme Unsicherheit belastet Management und Mitarbeiter zusätzlich, das Tagesgeschäft kommt zu kurz; es werden nur noch Brände gelöscht (Unternehmen in der Sanierung können davon ein Lied singen).

Das ist kein Aufruf zur Resignation. Ganz im Gegenteil: Vielleicht können Unternehmen von Krisenunternehmen lernen. Dort und in der Seefahrt gibt es den Begriff „auf Sicht fahren“. Das setzt voraus schnell zu entscheiden, flexibel zu sein, Pläne kurzfristig den neuen Gegebenheiten anzupassen, sich auf das Wesentliche zu fokussieren, klare Kommunikation. Dabei gibt es natürlich weiterhin einen mittel- und langfristigen Plan, auch wenn man zur Erreichung der Ziele Umwege in Kauf nehmen muss.

Wir alle, Unternehmer, Management, Mitarbeiter, Finanzierer und natürlich auch Berater werden uns in dieser neuen Realität umstellen müssen. Die Anforderungen, vor allem an das Management, aber auch an alle Stakeholder steigen. Flexibilität in jeder Form und eine Unternehmenskultur, Pläne und Maßnahmen quasi laufend zu überdenken, ggf. zu revidieren und neu zu definieren, rücken in den Vordergrund. Strukturen und Prozesse müssen entsprechend angepasst werden. Starre Planungen werden in den Hintergrund treten. Der gerne benutzte Begriff der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ wird in diesem Zusammenhang an Bedeutung verlieren. Manche Unternehmen sind schon weiter und haben agile Methoden in ihren Prozessen eingeführt. Diese Überlegungen auf die Unternehmensführung und das Controlling zu übertragen könnte ein Ansatz sein, um mit den massiven Unsicherheiten umzugehen. Es wird spannend in nächster Zeit!

 

Ansprechpartner:
Dr. Markus Brixle, brixle@mt-gmbh.de
Telefon +49 89 18939989

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