Agile Projekte… Und keiner will mehr Budgets machen!?

Ein Beitrag von Gerd Kullmann (MatrixPeople) und Peter Rüffer (MatrixPartner)

Vielfach hören wir in unserer Beratungspraxis in durchaus hitzig – und manchmal auch ideologisch – geführten Debatten zwischen agilen Praktikern Sätze wie diese: „Ein festes Budget zu Beginn eines agilen Projektes zu erstellen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Agile Logik ist so grundlegend anders, dass diese Einengung den agilen Gedanken zu Nichte macht.“ Etwas weniger dogmatische Agil-Follower argumentieren eher dahingehend, dass es durchaus möglich ist, ein agiles Budget zu erstellen. Aber dadurch wird das agile Potential, nämlich in einem kreativen Prozess in kurzen Hochleistungssprints die bestmöglichen Ergebnisse hervorzubringen, beschnitten und bleibt unter seinen Möglichkeiten.

Zweifellos ist die große Stärke der agilen Methoden ihre Effektivität. Diese wird aber in der Praxis häufig ausgebremst, sobald es zur Preisfindung bzw. Vertragsgestaltung kommt: Wenn das Projekt agil sein soll, also ständigen Veränderungen ausgesetzt ist, schwankt dann nicht zwangsläufig auch gleichzeitig der Preis? Kann man so überhaupt vernünftig planen, geschweige denn ein Budget oder für die Beauftragung einen Festpreis ermitteln?

Wir glauben ja! Und nicht nur das… agile Methoden erlauben nicht nur Festpreise, sie sind sogar unserer Ansicht nach in besonderem Maße dazu geeignet, auch unter dieser Rahmenbedingung das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Klassisches Projektmanagement – egal ob in der Softwareentwicklung oder in anderen Projekten – funktioniert oft so: Zu Beginn definieren und fixieren Team bzw. Dienstleister und Auftraggeber den Scope, also die Projektziele und Anforderungen. Auf dieser Basis werden dann Kosten und Termin geschätzt. Scheinbar ergibt sich daraus Planungssicherheit, denn Kosten und Zeit lassen sich ja leicht kontrollieren. Die Realität sieht dann aber oft ganz anders aus: Die Fertigstellung von Meilensteinen verzögert sich, die Deadline rückt immer weiter nach hinten, und die Kosten steigen letztlich. Obwohl die Projektmanager die Planung, den Scope und das Budget beharrlich verteidigen, müssen sie am Ende zugeben, dass sie keinen der drei Aspekte wirklich im Griff hatten. Gerade bei komplexen Projekten ist nämlich das Ausmaß des Scopes schwierig vorherzusehen.

Auf den ersten Blick wird auch die Fragestellung der Preis- bzw. Budgetfindung mit einem agilen Ansatz nicht einfacher: Team bzw. Dienstleister sehen sich meist damit konfrontiert, dass feste Zusagen gegeben und schnell etwas geliefert werden soll, obwohl klar ist, dass der Auftraggeber bis dato noch nicht alle Anforderungen definiert hat, ständig neue Ideen haben wird und diese in das Projekt einfließen müssen. Einkäufer in den großen Konzernen haben hiermit auch ihre Schwierigkeiten, denn diese sind in der Regel nicht an einer Spezifikation interessiert, bei der sich der Scope ständig verändert. In seiner Rolle als Einkäufer will er oder sie ja zu einem - im besten Fall günstigen - Festpreis einkaufen. Also eher ein Vorgehen, bei der Team bzw. Dienstleister nicht möglichst viel, sondern möglichst wenig leisten bzw. einpreisen sollen. Doch agile Ansätze gehen den entgegengesetzten Weg – nämlich mehr und reale Einflussmöglichkeiten des Teams zu schaffen – mit Erfolg! Später dazu mehr…

In der agilen Fachdiskussion hat sich eine Standardmethode zur Bildung des „agilen Festpreises“ durchgesetzt (siehe https://www.youtube.com/watch?v=YIGDOZx_3QE). Leider ist dieses Verfahren aus unserer Sicht nur für wirklich große Projekte anwendbar. Es ist extrem aufwändig und die zu bearbeitenden Aufgabenpakete müssen so zahlreich sein, dass sich durch das Gesetz der großen Zahlen gewisse Ungenauigkeiten wieder aufheben - was sie bei richtiger Anwendung dieses Verfahrens auch tatsächlich tun.

Aber was macht der Auftraggeber, der nur einen überschaubaren 6-Monatsauftrag vergeben will, oder der Einkäufer, der vor dem internen Genehmigungsprozess belastbare Aussagen braucht? Und wie geht der Projektmanager, der das Ganze im Projekt letztlich sicherstellen muss, schließlich damit um?

 

Agile Projekte – Alles anders oder nur alles anders betrachtet

Den oft zugespitzt formulierten Widerspruch zwischen festem, vor Projektstart festgelegtem Budget und der Ausschöpfung der Potentiale agilen Vorgehens sehen wir nicht. Vielleicht mag es einige eingefleischte agile Apologeten verärgern, aber auch agil hat das Rad nicht neu erfunden und auch agile Projekte spielen sich nicht außerhalb der Naturgesetze ab. Das magische Dreieck des Projektmanagements besitzt auch weiterhin seine Gültigkeit – aber agil stellt das klassische Denken der Wasserfalllogik auf den Kopf:

 

Diese Stellschrauben zur Projektplanung und Projektsteuerung bleiben auch bei agilem Projektmanagement die gleichen. Allerdings mit einem Unterschied in der Priorisierung. Wenn bislang in aufwändigen Prozeduren der Scope scheinbar (!) genau ermittelt wurde und von dort ausgehend Kosten und Termin extrapoliert werden, so ist es bei agil umgekehrt. Die Kosten und der Termin werden fix gesetzt, variabel sind dann die tatsächlichen Eigenschaften des Produktes. So einfach und doch so radikal, da dies hohe Anforderungen an alle Beteiligten stellt. Das bedeutet nämlich erstmal mit der Ungewissheit „Was kommt am Ende eigentlich genau raus?“ leben zu müssen.

Man könnte auch sagen, dass agil aus der Not eine Tugend macht. In Zeiten, in denen es ohnehin immer unrealistischer wird, ein Produkt en-detaill im Vorfeld zu bestimmen und kurzfristiges Reagieren die entscheidenden Wettbewerbsvorteile bringt, macht es Sinn, sich gerade in Hinblick auf den Scope die größtmögliche Freiheit zu geben - und das innerhalb des gesetzten Rahmens! Denn natürlich gilt auch für agile Projekte: Sie müssen sich daran messen lassen mit der verfügbaren Zeit und den bereitgestellten Mitteln auszukommen. Nur ist der Unterschied, dass sie nicht das klar und im Vorfeld eng umrissene Produkt liefern, sondern das bestmögliche Produkt, welches am Anfang des Prozesses noch gar nicht klar bestimmbar ist, aber allen Eventualitäten und Änderungswünschen unterwegs Rechnung trägt.

 

Was bedeutet das in der Praxis?

Auch bei einer agilen Arbeit beschreibt man zum Start notwendige Produkteigenschaften auf Basis des Wissens vom Projektstart. Allerdings längst nicht so detailliert und nicht als Versicherung gegen Claim Management, sondern als gemeinsame Verständigungsbasis zwischen Team und Auftraggeber. Das agile Framework bietet mit ständigen Reviews und Retrospektiven eine verbindliche Struktur, die immer wieder für die partnerschaftliche Diskussion zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer genutzt werden kann: Wo setzen wir Prioritäten? Wofür geben wir das Budget genau aus? Was ist aus jetziger Sicht und vom Projektstart her gedacht wichtig?

Ständige Anpassung der geplanten Produkteigenschaften sind die zentrale Stellschraube, aber auch die geschätzten Zeiten für einzelne Aufgabenpakete können flexibler hin und her bewegt werden. Die Gesamtzeit etwa bis zum Release eines neuen Produktes bleibt dieselbe. Wofür innerhalb dieses Zeitfenster die Zeit genutzt wird, ist allerdings flexibler und Teil der agilen Aushandlungsprozesse. Ähnliches gilt auch für das vorher festgelegte Budget. Dieses ergibt sich aus den in der Organisation zur Verfügung stehenden Mitteln oder aus den für die geforderten Produkteigenschaften notwendigen Aufwänden. Auch hier gilt, das Budget wird sich aller Regel nach nicht auf wundersame Weise vermehren. Aber dadurch, dass im agilen Denken der Gesamtprozess in kleine Scheiben aufgeteilt ist, kann ein eigenes Budgets für jeden Zyklus (z.B. Sprint im agilen Framework Scrum) erstellt werden. In Summe müssen diese einzelnen Budgets dem Gesamtbudget entsprechen – aber auch hier sind sie flexibler und variabler verschiebbar. Und die Kunst besteht natürlich auch hier, das Gesamtbudget im Auge zu behalten!

 

Und welche Voraussetzungen braucht das?

Vertrauen und Partnerschaft

Agiles Arbeiten und agiles Zusammenarbeiten bedeutet eine grundlegende Änderung im Spiel: Change requests als das zentrale Mittel für den Lieferanten um mit dem Projekt Geld zu verdienen, haben ausgedient. Wenn der Lieferant oder Auftraggeber kein Vertrauen entwickelt, kann agile Zusammenarbeit unter Festpreisbedingungen nicht gelingen. Wesentliche vertrauensbildende Maßnahmen sind dabei Testsprints, die prototypische Umsetzung von ausgewählten Funktionalitäten und einiges mehr.

Empowerment für die Mitarbeiter in den einzelnen Teams und Sitzungen

Wenn die Mitarbeiter im Review keine Entscheidungsbefugnisse haben und faktisch bei jeder Änderung an den Vertrieb und den Einkauf verweisen müssen, ist es wohl besser, gleich bei der alten Wasserfalllogik zu bleiben – agile Potentiale können so jedenfalls nicht gehoben werden. Klare Entscheidungen, Mut und Kompetenz in den agilen Teams sind notwendig, damit Fachleute, die die Folgen ihrer Entscheidung beurteilen können, miteinander auf Augenhöhe verhandeln können.

Klare Eskalation

Und trotzdem (und darauf sollten Sie vorbereitet sein) ist es möglich, dass keine Einigung erzielt wird. Auch hierfür muss ein klarer Weg ohne Schuldzuweisung vorab definiert werden: Also wer spricht mit wem, wenn wir uns hier nicht einig werden, und wie kommen wir in diesem Falle trotzdem zu verbindlichen Entscheidungen.

Absolute Transparenz

Um noch einmal daran zu erinnern: Transparenz zu Budget, Budgetverbrauch, geplante und schon erreichte Produkteigenschaften sowie Termine und Risiken im Projektverlauf für Team und Auftraggeber ist der zentrale Erfolgsfaktor der agilen Arbeit. Und dies gilt gerade unter Festpreisbedingungen. Nur die jederzeitige Transparenz eröffnet die notwenigen Steuerungsmöglichkeiten in den agilen Teams, um gemeinsam zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer schnell und effizient auf Risiken und Störungen im Projektverlauf zu reagieren.

 

Und was ändert das nun am Spiel? Merken Sie etwas?

Es ist nicht die Höhe des Festpreises, der Vereinbarungen oft im Wege steht. Zahlen ergeben sich von selbst, wenn Anforderungen und Risiken klar benannt sind. Wer aber Zahlen v.a. aus Kontrollzwecken installiert, weil er nicht vertrauen kann oder will oder keine partnerschaftliche Zusammenarbeit sucht, der braucht eine andere Projektmanagementmethode als agiles Vorgehen… oder vielleicht einen anderen Partner.

Womit wir Sie unterstützen:

  • Gestaltung von agilen Prozessen und Rollenmodellen
  • Prozessbegleitung bei der Einführung von agiler Arbeit
  • Unterstützung beim Aufsetzen von agilen Festpreisprojekten
  • Auswahl und Umsetzung von vertrauensbildenden Maßnahmen
  • On the job Qualifizierung für agile Coaches und Produktowner
  • Teamentwicklung für agile Teams
  • Praxisbegleitung von Retrospektiven und Planungsmeetings
  • Agiles Change Management

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